Ein Blick zurück ins Jahr 1995: Das Bundespflegegeldgesetz ist erst zwei Jahre in Kraft, digitale Patientenakten sind Zukunftsmusik und der demografische Wandel zwar ein bekanntes Phänomen, aber in seinen Auswirkungen auf den Pflegealltag noch nicht in vollem Umfang spürbar. Springen wir ins Heute: Die Pflege ist digitaler, spezialisierter und die Herausforderungen sind komplexer denn je. Eine Zeitreise durch drei Jahrzehnte Pflegepraxis in Österreich, die zeigt, was besser wurde, was härter – und was sich niemals ändern wird.
Was besser wurde: Akademisierung und rechtliche Anerkennung
Wer 1995 in der Pflege arbeitete, erinnert sich an eine Zeit, in der die Dokumentation noch handschriftlich erfolgte und technische Hilfsmittel weniger verbreitet waren. Inzwischen hat die Digitalisierung Einzug gehalten. Digitale Akten, moderne Pflegehilfsmittel und telemedizinische Anwendungen erleichtern den Arbeitsalltag und tragen zu einer effizienteren Versorgung bei.
Durch die schrittweise Einführung der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) ab 2015 wurde die Dokumentation revolutioniert und die interdisziplinäre Zusammenarbeit maßgeblich verbessert. Informationen zum Behandlungsverlauf sind nun zentral und sicher für alle beteiligten Gesundheitsdiensteanbieter verfügbar, was die Patientensicherheit erhöht und Doppelbefunde reduziert.
Ein weiterer entscheidender Fortschritt der letzten 10 Jahre ist die Professionalisierung des Berufsstandes durch die Akademisierung. Während die Ausbildung früher hauptsächlich an Krankenpflegeschulen stattfand, wurde sie nun teilweise auf den tertiären Bildungssektor, also an Fachhochschulen, verlagert. Die GuKG-Novelle von 2016 hat diesen Weg geebnet und die Ausbildung an internationale Standards angeglichen. Seit Herbst 2023 ist für den gehobenen Dienst der Gesundheits- und Krankenpflege ein Bachelorstudium die Regel. Diese Entwicklung stärkt die wissenschaftliche Fundierung der Pflege, erweitert die Kompetenzen und ermöglicht den Absolventen, auf Augenhöhe mit anderen Gesundheitsberufen zu agieren. Trotzdem wurde die Akademisierung in Hinblick auf den Pflegekräftemangel öffentlich kritisiert. Bei genauerem Hinblick zeigt sich allerdings, dass das Interesse an Pflegestudiengängen sogar größer ist, als die angebotenen Plätze zulassen. Der Pflegeberuf wurde für die große Zahl an Maturanten attraktiver gemacht.
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, wurde außerdem ein neuer, praxisorientierter Ausbildungsweg geschaffen. Seit September 2023 gibt es die Pflegelehre, einen Ausbildungsversuch, der Jugendlichen nach der Schulpflicht eine Lehre zur Pflegeassistenz (3 Jahre) oder Pflegefachassistenz (4 Jahre) ermöglicht. Diese Initiative soll vor allem junge Menschen ansprechen und sie frühzeitig für den Pflegeberuf gewinnen.
Die Weiterentwicklung des Pflegeberufs steht nicht still. Eine wesentliche Änderung, die durch die GuKG-Novelle 2024 auf den Weg gebracht wurde, erweitert die Kompetenzen des gehobenen Dienstes (DGKP) erheblich. Ab dem 1. September 2025 erhalten sie die Befugnis, bestimmte, im Rahmen der Pflege anfallende Arzneimittel und zudem medizinische Hilfsmittel und Heilbehelfe, wie beispielsweise Inkontinenzprodukte oder Verbandsmaterialien, eigenständig zu verordnen. Auch das Aufgabengebiet von Pflegefachassistent(inn)en wurde erweitert. Sie dürfen nun auch bei der chirurgischen Wundversorgung assistieren und Infusionen ohne medikamentöse Wirkstoffe verabreichen. So schreitet die Kompetenzerweiterung und Spezialisierung der Berufsbilder weiter voran.
Was härter wurde: Der Druck durch Fachkräftemangel und Bürokratie
Die größte Herausforderung, die den Pflegealltag heute prägt, ist der allgegenwärtige Fachkräftemangel. Die demografische Entwicklung ist unübersehbar: Die Zahl der Menschen über 65 Jahre und damit auch die Zahl der Pflegebedürftigen steigt stetig an. Prognosen gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2030 zehntausende zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden, um den Bedarf zu decken. Gleichzeitig gehen viele erfahrene Pflegende der Babyboomer-Generation in Pension. Dies führt zu einer enormen Arbeitsverdichtung. Parallel dazu ist die durchschnittliche Verweildauer in den Krankenhäusern stark gesunken. Waren es 1995 noch rund 10 Tage, so sind es heute nur mehr etwa 6 (Daten von 2023). In dieser kurzen Zeit muss eine Vielzahl von Untersuchungen und Behandlungen koordiniert werden, was den Druck auf das Personal zusätzlich erhöht. Durch die kürzeren Spitalaufenthalte verschiebt sich ein Teil der Pflege in den häuslichen und ambulanten Bereich.
Ein weiterer Punkt, der vielen Pflegekräften zu schaffen macht, ist die zunehmende Bürokratie. Der hohe administrative Aufwand für die Dokumentation jeder einzelnen Tätigkeit kostet wertvolle Zeit, die für die direkte Betreuung der Patientinnen und Patienten fehlt. Viele Pflegende fühlen sich dadurch von ihrer eigentlichen Aufgabe, der menschlichen Zuwendung, entfremdet.
Die gesellschaftliche Wertschätzung für den Pflegeberuf hat sich zwar gewandelt, doch oft steht die gefühlte Anerkennung in keinem Verhältnis zur täglichen Belastung und Verantwortung. Fast die Hälfte der Pflegekräfte denkt laut einer Umfrage der Arbeiterkammer über einen Berufsausstieg nach.
Was sich niemals ändern wird: Das Herz der Pflege
Trotz aller Veränderungen im Laufe der letzten drei Jahrzehnte gibt es einen Kern der Pflege, der unantastbar bleibt: die Menschlichkeit. Die Beziehung zwischen Pflegenden und Patientinnen und Patienten, die von Empathie, Vertrauen und Fürsorge geprägt ist, bilden das Fundament dieses Berufs.
Die Fähigkeit, zuzuhören, Trost zu spenden und in schwierigen Lebensphasen eine Stütze zu sein, sind Kompetenzen, die keine Technologie ersetzen kann. Der Wunsch, Menschen zu helfen und ihre Lebensqualität zu verbessern, ist und bleibt die treibende Kraft für die allermeisten, die sich für diesen anspruchsvollen und zugleich zutiefst erfüllenden Beruf entscheiden.
Die Pflege in Österreich hat sich in den letzten 30 Jahren rasant entwickelt und wird sich auch in Zukunft weiter verändern. Doch eines ist sicher: Solange es Menschen gibt, die auf Hilfe und Zuwendung angewiesen sind, wird es auch Menschen geben, die mit Herz und Verstand pflegen.
Quellen:
Grasser, Margarethe: 20 Jahre Pflegegeld. Entwicklung des anspruchsberechtigten Personenkreises und der Pflegegeldstufen, URL: https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/load?contentid=10008.714187&version=1391184548
Glarcher, Manela u.a.: Warum es ein Zuviel an Bildung nicht geben kann, URL: https://www.gesundheitswirtschaft.at/publikation/64-jg-2023-10/warum-es-ein-zuviel-an-bildung-nicht-geben-kann/
Halmich, Michael: Update GuKG. Berufsrecht der Pflege – Novellen – Praxisauswirkungen im Krankenhaus, URL: https://www.gesundheitsrecht.at/wp-content/uploads/2024/09/Update-Pflegerecht-Sept.-2024.pdf
Lazarus – Pflegenetzwerk: Pflegereform: Erstverordnung von Medikamenten und mehr Kompetenzen für Pflegefachkräfte, URL: https://www.lazarus.at/2024/07/07/pflegereform-erstverordnung-von-medikamenten-und-mehr-kompetenzen-fuer-pflegefachkraefte/
Österreichischer Behindertenrat: 30 Jahre Pflegegeld in Österreich, URL: https://www.behindertenrat.at/aktuelles/news/30-jahre-pflegegeld-in-oesterreich/#:~:text=Die%20Anf%C3%A4nge,ausreichende%20Versorgung%20der%20Behindertenorganisationen
Radtke, Rainer (Statista): Durchschnittliche Aufenthaltsdauer in österreichischen Krankenhäusern von 1990 bis 2023, URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/299902/umfrage/durchschnittliche-aufenthaltsdauer-in-oesterreichischen-krankenhaeusern/
Arbeiterkammer Niederösterreich: Befragung unter Gesundheits- und Pflegepersonal, URL: https://noe.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/gesundheit/Befragung-unter-Gesundheits–und-Pflegepersonal.html